Freispruch aufgehoben: Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen
Das Landgericht Landshut hatte am 29. September 2015 ein Urteil gemäß § 174 Absatz 1 Nummer 3 STGB gefällt. In drei tatmehrheitlichen Fällen bestand der Vorwurf des Missbrauchs von Schutzbefohlenen, in einem Fall in Tateinheit mit Vergewaltigung - der vom Anwalt für Sexualstrafrecht verteidigte Angeklagte wurde freigesprochen. Nun hatte der Bundesgerichtshof dieses Urteil aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Urteil des Landgerichts Landshut
Die Richter des Landgerichts hatten den Angeklagten, welchem sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen vorgeworfen wurde, freigesprochen. Für sie war nicht eindeutig, ob sich die sexuellen Taten überhaupt ereignet hatten. Der BGH entschied in dieser Angelegenheit anders.
Revision des Urteils durch den BGH
Aufgrund dieser Diskrepanz zwischen den Entscheidungen der Gerichte stellt sich die Frage nach der Freiheit der richterlichen Überzeugungsbildung. Insbesondere bei der Ablehnung von Beweisanträgen wird stets betont, dass die Beweiswürdigung eine Aufgabe des Tatgerichts (in diesem Fall das Landgericht Landshut) sei. Das Revisionsgericht (der Bundesgerichtshof) hingegen hat die Pflicht, Verfahrensfehler zu prüfen. Entgegen diesem Verständnis revidierte es in diesem Fall den Freispruch des Angeklagten.
Änderung des Urteils durch das Revisionsgericht - ist das möglich?
Grundsätzlich muss das Revisionsgericht hinnehmen, wenn der Tatrichter einen Angeklagten freispricht und dies aus einem unüberwindbaren Zweifel an seiner Täterschaft geschieht. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht die Beweismittel selbst anders gewürdigt oder überhaupt Zweifel an der Schuld des Angeklagten gehabt hätte. Vielmehr hat es die tatrichterliche Überzeugungsbildung „selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen oder überzeugender gewesen wäre“ (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2015 - BGH Aktenzeichen 5STR52114 5 StR 521/14, NStZ-RR 2015, NSTZ-RR Jahr 2015 Seite 178).
Es ist allein Sache des Tatrichters, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen dabei „nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind“ (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 - BGH Aktenzeichen 4STR42014 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, NSTZ-RR Jahr 2015 Seite 148 mwN).
Allerdings liegt ein Verfahrensfehler auch dann vor, „wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden“ (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 11. November 2015 - BGH Aktenzeichen 1STR23515 1 StR 235/15, wistra 2016, WISTRA Jahr 2016 Seite 78). Da das Revisionsgericht für die Überprüfung von Verfahrensfehlern zuständig ist, kann ein Urteil dadurch abgeändert werden.
Aufhebung des Freispruchs durch den BGH
Solche Rechtsfehler lagen in diesem Fall des Vorwurfs des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen aus Sicht des BGH vor. Denn die Beweiswürdigung des Urteils des Landgerichts Landshut erfülle nicht die Anforderungen an ein freisprechendes Urteil.
Wie kann ein Freispruch aus tatsächlichen Gründen gegen die Revision durch Staatsanwaltschaft und Nebenklage Bestand haben?
Die Urteilsgründe müssen die Tatsachen feststellen, die der Tatrichter für erwiesen hält; dazu gehört auch der Anklagevorwurf. Das Landgericht Landshut hatte dementsprechend die Gründe darzulegen, weshalb es die für einen Schuldspruch erforderlichen zusätzlichen Feststellungen nicht treffen kann (vgl. BGH, Urteile vom 8. Mai 2014 - BGH Aktenzeichen 1STR72213 1 StR 722/13).
Auf dieser Grundlage hat der BGH als Revisionsgericht normalerweise die Möglichkeit nachzuprüfen, ob rechtlich bedenkenfreie Erwägungen den Freispruch tragen (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 8. Mai 2014 - BGH Aktenzeichen 1STR72213 1 StR 722/13; vom 5. Februar 2013 - BGH Aktenzeichen 1 StR 405/12, NStZ 2013).
Die bestehenden Mängel im konkreten Fall
In der vorliegenden Sache hatte der BGH Fehler beim Urteil des Landgerichts festgestellt.
Bemängelt wurden folgende Punkte:
- Die unzureichende zusammenhängende Mitteilung in den Urteilsgründen. Dort wurde nicht klar, welche Feststellungen überhaupt getroffen wurden, das heißt, welche Sachverhalte das Landgericht überhaupt für erwiesen hielt.
Ob es den von den Belastungszeugen geschilderten Tatvorwürfen das Erlebnisfundament absprach oder von einem abweichenden, nicht für strafbar gehaltenen Geschehensablauf überzeugt war, wurde nicht ersichtlich. - Das Landgericht hatte sich nicht ausreichend mit der Einlassung des Angeklagten auseinandergesetzt. Es hatte diese ungeprüft hingenommen und als wahr unterstellt.
- Das Tatgericht hatte den Aussagen der Belastungszeugin einen geringeren Beweiswert zugewiesen. Aus ihrer Aussage ergab sich, dass sie eine Verfahrensbeteiligte im Sorgerechtsstreit ihrer Eltern war. Die Zeugin wurde daher nicht eindringlich über die unbedingte Wahrheitspflicht belehrt, sodass ihrer Aussage nur ein geminderter Beweiswert zukomme.
Das Fazit des BGH: Freispruch aufgehoben
Gemäß BGH war der Weg des Landgerichts Landshut hin zum Freispruch des Angeklagten nicht nachvollziehbar gewesen. Den Richtern des Revisionsgerichts war es nicht möglich aufgrund der mangelhaften Urteilsgründe nachzuprüfen, auf welcher tatsächlichen Grundlage das Tatgericht “in dubio pro reo” entschieden hatte.
Demnach ist die bloße Mitteilung des Tatgerichts, dass es sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit von den angeklagten Sexualstraftaten überzeugen konnte, nicht ausreichend.
Somit war das Urteil des Freispruchs rechtsfehlerhaft und konnte schließlich durch den Bundesgerichtshof aufgehoben werden.