Strafmaß Kindesmissbrauch: Endlich etwas Empathie für den Angeklagten
Mit Beschluss vom 14.06.2016 hat der BGH, Aktenzeichen 2 ARs 67/16 Nachfolgendes in Bezug auf das Strafmaß bei Kindesmissbrauch den Zeitabstand zwischen Tat und Urteil klargestellt:
Es ist zu differenzieren zwischen Strafverfolgungsverjährung, Tatschuld, Strafbedürfnis und Strafzumessung.
Die Leitsätze:
- Ein langer Zeitablauf seit der Tatbegehung mindert zwar nicht die Tatschuld, aber das Strafbedürfnis, sodass Tat und Täter in günstigerem Licht als bei früherer Ahndung erscheinen können. (redaktioneller Leitsatz)
- Der zeitliche Abstand zwischen Tat und Urteil hat in Fällen des sexuellen Kindesmissbrauchs die gleich hohe Bedeutung wie in anderen Fällen (ebenso BGH NStZ 2016, NSTZ Jahr 2016 Seite 277; beabsichtigte Änderung von BGH NStZ 2006, NSTZ Jahr 2006 Seite 393).
- Verjährungsvorschriften, insbesondere die Sonderregelung des § STGB § 78b Abs. STGB § 78B Absatz 1 Nr. STGB § 78B Nummer 1 StGB, bezwecken keine von den allgemeinen Grundsätzen abweichende Regelung der Strafzumessungsgesichtspunkte. (redaktioneller Leitsatz)
Was ist der Hintergrund dieses Beschlusses in Bezug auf die Strafe bei Kindesmissbrauch?
Im zugrundeliegenden Fall soll der Angeklagte – entsprechend den Feststellungen des Landgerichts - die Enkelinnen seiner Lebensgefährtin im Zeitraum Mitte 1995 bis Anfang 2010 sexuell missbraucht haben. Das Landgericht hat ihn unter Freisprechung im Übrigen wegen versuchter sexueller Nötigung und sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich seine auf eine Verfahrensrüge und die Sachbeschwerde gestützte Revision.
Das Landgericht hat bei der Strafzumessung zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass die Taten lange zurückliegen. Allerdings komme „dem langen zeitlichen Abstand zwischen Tat und Urteil" bei Fällen sexuellen Kindesmissbrauchs nicht die gleich hohe Bedeutung zu wie in anderen Fällen (vgl. BGH NStZ 2006, NSTZ Jahr 2006 Seite 393).
Der Senat neigt hingegen zu der Auffassung, dass dem zeitlichen Abstand zwischen Tat und Urteil im Rahmen der Strafzumessung auch bei Taten des sexuellen Missbrauchs eines Kindes im Ansatz die gleiche Bedeutung zukommt, wie bei anderen Straftaten.
Denn auch der 2. Senat des GBH in Strafsachen ist (ebenso wie der 3. Strafsenat) der Auffassung, dass die Strafe eine angemessene staatliche Reaktion auf die Begehung einer Straftat sein solle. Dabei erfordere die Bemessung der Strafe auch eine individuelle, also am Einzelfall orientierte Abwägung der strafzumessungsrelevanten Umstände.
Hierbei sollen auch „die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind“, berücksichtigt werden, vgl. § 46 Abs. STGB § 46 Absatz 1 Satz 2 StGB.
Demnach mindere der lange Zeitablauf zwischen Tatbegehung und Verurteilung nicht die Tatschuld, doch könne er „Tat und Täter in einem günstigeren Licht erscheinen lassen, als es bei früherer Ahndung der Fall gewesen wäre“ (vgl. LK/Theune, StGB, 12. Aufl., § 46 Rn. 240).
Das gilt prinzipiell nun also auch für Missbrauchsdelikte (vgl. Senat, Beschluss vom 13. Mai 2015 - BGH Aktenzeichen 2STR53514 2 StR 535/14).
Die Sonderregelung des § STGB § 78b Abs. STGB § 78B Absatz 1 Nr. STGB § 78B Nummer 1 StGB, wonach die Verjährung der Strafverfolgung bei Straftaten nach den §§ 174 bis 174c, 176 bis 179, 180 Abs. 3, §§ 182, 225, 226a und 237 bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres des Opfers ruht, soll nicht den Zweck haben, die Strafzumessung zu regeln. Vielmehr dienen die vorgenannten besonderen Verjährungsregeln einzig dem Schutz potentieller Opfer. Dies, indem sie deren besondere Situation berücksichtigen, dass sie als Kinder oder Jugendliche noch aufgrund familiärer Bindungen oder besonderer Abhängigkeitsverhältnisse eher darin gehemmt sind, sexuelle Übergriffe anzuzeigen.
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