Freispruch: Angebliche Vergewaltigung nach Clubnacht
Am 27. März 2017 endete in Münster die Berufungsverhandlung zu einem Fall, der sich im Jahr 2014 ereignet haben soll. Meinem Mandanten wurde vorgeworfen, in jenem Jahr eine Club-Bekanntschaft während des Schlafs vergewaltigt zu haben. In erster Instanz erfolgte eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten. Nun gingen wir erfolgreich in Berufung: Freispruch!
„Sonne über Münster“
Nicht nur, dass an diesem 27. März 2017, einem der ersten wirklichen Frühlings-Tage, die Sonne über Münster bei strahlend blauem, wolkenlosen Himmel tatsächlich strahlte - sie hatte auch den baulich eindrucksvollen Verhandlungssaal im ohnehin architektonisch schönen Landgericht Münster erreicht.
Ich gebe zu: Ich liebe Münster. Nicht nur wegen des heutigen Freispruchs für meinen Mandanten, sondern wegen seiner Menschen, seiner Grünflächen, seiner Kultur – einfach alles. Doch sind dies ganz persönliche Dinge - zurück zum „Fall“.
Berufung gegen Verurteilung wegen sexuellem Missbrauch Widerstandsunfähiger
Was war so eindrucksvoll und so besonders an dieser Berufungsverhandlung gegen ein Urteil des Amtsgerichts Münster, das meinen Mandanten seinerzeit wegen des Vorwurfs des „sexuellen Missbrauch von Widerstandsunfähigen“ (§ 179 Abs. 5 StGB a.F.) verurteilt hatte?
In erster Linie war es der Vorsitzende, der sowohl in seiner Verhandlungsführung als auch in seiner Zeugenbefragung zu jedem Zeitpunkt einfach „nur“ zu rekonstruieren versuchte, was sich tatsächlich zwischen der späteren Belastungszeugin und meinem Mandanten in jener Nacht Anfang November 2014 ereignet hatte.
„Das ist mein Job“, sagte er dazu nur. Völlig richtig – nur wäre wünschenswert, dass wesentlich mehr Richter ihren „Job“ genau so machen. Dies entspricht leider nicht meiner Erfahrung. Ich erlebe sonst vielmehr Voreingenommenheit und Zeitdruck, die dem Angeklagten jegliche Chance auf ein faires Verfahren abschneiden, noch bevor die Verhandlung auch nur begonnen hat.
Der Vorwurf
Konkret hatten damals die Zeugin und der spätere Angeklagte nach einer Clubnacht im Münsteraner Club „Ivory“ Sex in seiner Wohnung. Soweit nichts Ungewöhnliches.
Was daran potentiell strafbar war, waren die anschließenden Bekundungen der Zeugin, mein Mandant sei, während sie bereits (alkoholisiert und übernächtigt) geschlafen habe, abermals und ohne ein Kondom zu verwenden, vaginal in sie eingedrungen. Das wäre also ein „klassische Fall“ eines des Straftatbestands „sexueller Missbrauch von widerstandsunfähigen Personen“ ( § 179 Abs. 5 StGB a.F.).
Mein Mandant – der Angeklagte – stellte ein abermaliges Penetrieren der schlafenden Zeugin in Abrede.
Aussage gegen Aussage
Wie für Sexualdelikte üblich und typisch, waren objektive Beweismittel naturgemäß nicht vorhanden. Es handelte sich also um eine Aussage – Aussage-Konstellation.
Wessen Aussage war also zu folgen? Derjenigen der Zeugin? Oder derjenigen des Angeklagten? Die besondere Schwierigkeit bestand darin, dass die Zeugin offensichtlich nicht bewusst log. Vielmehr füllte sie offenbar ihre Erinnerungslücken im Nachhinein mit eigenen Gedanken und Mutmaßungen auf, wodurch sich Pseudoerinnerungen generierten.
Konsequenzen für die Urteilsfindung
Das Landgericht Münster hat die Vorgaben des BGH konsequent umgesetzt.
Denn: Steht die Hypothese von Pseudoerinnerungen im Raum, kann und darf es keine Entscheidung über „schwarz oder weiß“ geben. Dann kann sich eine Verurteilung nicht auf der Entscheidung gründen, welche Darstellung eventuell die zutreffende ist. Vielmehr wäre für eine Verurteilung die richterliche Überzeugung erforderlich, dass es tatsächlich genauso war, wie die Zeugin sagt. Daraus kann als Konsequenz nur folgen, dass bei verbleibenden Unsicherheiten freizusprechen ist. Auch Zweifel an der Version des Angeklagten lässt nicht den sicheren Rückschluss zu, dass die Version der Zeugin zutreffend ist. Vielmehr wäre für eine Verurteilung erforderlich, auch seine Einlassung als sicher zu widerlegen – was aber in der Aussage-Aussage-Konstellation mangels objektiver Beweismittel nicht möglich ist.
Hier blieb die naheliegende Möglichkeit, dass die Zeugin in ihrer Wahrnehmung irrte, als nicht zu widerlegende Hypothese stehen, sodass ein Freispruch erfolgen musste.
Aussagepsychologie: Pseudoerinnerungen oder Lüge?
Dass die Zeugin hier Lügen, mithin bewusste Unwahrheiten, bekundete, um den Angeklagten absichtlich zu belasten, war fernliegend. Vielmehr enthielt ihre Aussage die Schilderung von Emotionen und Komplikationen – sog. „Realkennzeichen“, wie dies die Aussagepsychologie nennt. Indes: Realkennzeichen eignen sich einzig dazu, die bewusste Lüge von der Wahrheit zu unterscheiden. Was bleibt, ist die Frage, ob die Zeugin das von ihr geschilderte Geschehen tatsächlich so erlebt hat. Oder ob sich ein Geschehensablauf in ihrer Erinnerung weiterentwickelt hat. Dies kann zum Beispiel durch Selbst- oder Fremdbeeinflussung (Autosuggestion, Heterosuggestion) aufgrund eines schlechten Gefühls und Scham nach einer im Nachhinein als nicht schön empfundenen gemeinsamen Nacht geschehen. Es gilt also zu klären, ob es sich bei ihren Aussagen um tatsächlich Erlebtes oder um Pseudoerinnerungen - subjektive Gewissheit – handelt.
Indiz: Entstehung und Entwicklung der Aussage
Wesentlicher Anhaltspunkt dafür, mögliche Pseudoerinnerungen zu erkennen, ist die Betrachtung der Umstände der Entstehung der Erstaussage über das inkriminierte Geschehen, ebenso wie die Betrachtung der Aussageentwicklung. Es geht um die Hypothese, dass sich die Erinnerung der Zeugin zum Zeitpunkt unterschiedlicher Vernehmungen wie auch Äußerungen gegenüber Dritter noch in der Entwicklung befand.
Der Fall in der Presse
Auch die Öffentlichkeit interessierte sich vermehrt für die Berufungsverhandlung. Lesen Sie dazu auf die folgenden Artikel aus den Westfälischen Nachrichten: