Einstellung des Ermittlungsverfahrens wegen angeblichen sexuellen Missbrauchs von Kindern
In diesem langwierigen Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Kassel war die zwischenzeitlich erwachsene Tochter der ehemaligen Lebensgefährtin meines Mandanten nach mehrfachen Psychotherapien für sich persönlich zu der Überzeugung gelangt, als Kind von meinem Mandanten sexuell schwer missbraucht worden zu sein.
Auch hier konnten wir mit den Instrumenten der Aussagepsychologie sowie anhand objektiver Gegebenheiten gegenüber der Staatsanwaltschaft überzeugend darlegen, dass es sich bei der Belastungsaussage der vermeintlich Geschädigten über den angeblichen Missbrauch aussagepsychologisch um eine sog. irrtümliche Falschaussage handelte.
Denn aussagepsychologisch lässt sich die irrtümliche Falschaussage von der Schilderung über tatsächlich Erlebtes gerade nicht anhand der sog. Realkennzeichenanalyse unterscheiden.
Vielmehr gleichen sich aussagepsychologisch die Aussagen über nur vermeintlich Erlebtes (mithin die irrtümliche Falschaussage) und die Aussage über tatsächlich Erlebtes zunächst.
Denn die Aussageperson geht ja gerade irrtümlich davon aus, über einen Sachverhalt mit Erlebnishintergrund zu berichten. Dies erklärt, weshalb auch irrtümliche Falschaussagen regelmäßig über Realkennzeichen verfügen.
Indizien für eine irrtümliche Falschaussage ergaben sich aus dem Aussagematerial reichlich.
Der Unterschied zwischen einer tatsächlich wahren Aussage und einer von dem Aussagenden nur subjektiv – also irrtümlich- für wahr gehaltenen Aussage zeigt sich vielmehr einzig bei der Betrachtung der jeweiligen Entstehungsgeschichte und Entwicklungsgeschichte der zu beurteilenden Aussage.
Ergänzendes Kriterium ist die spezielle Aussagetüchtigkeit, mithin die Fähigkeit des Zeugen, ein Geschehen realitätsgetreu wahrzunehmen, zu speichern und wiederzugeben.
Vorliegend war die spezielle Aussagetüchtigkeit der Zeugin bereits zum Zeitpunkt ihrer mutmaßlichen Erstaussage fraglich.
Dies, da bei der Zeugin eine Borderline-Persönlichkeitsstörung diagnostiziert worden in Verbindung mit weiteren Störungen, sodass sich insgesamt ein sehr komplexes Beschwerdebild darstellte.
Die Borderline-Persönlichkeitsstörung bildet sich in der Adoleszenz der Zeugin heraus.
Demnach ist auch aus diesem Grund bereits höchst fraglich, ob die Zeugin das angebliche Geschehen je auf der Grundlage realer Erinnerungen schilderte.
Vielmehr ist es sehr wahrscheinlich, dass auch bereits die Erstaussage der Zeugin durch eine massive aufdeckende therapeutische Intervention kontaminiert wurde.
Aus der Analyse der Aussageentstehung und der Aussageentwicklung ergab sich indes für den vorliegenden Fall, dass sich die Hypothese der irrtümlichen Falschaussage aussagepsychologisch nicht mit einer hinreichenden Sicherheit, die eine Verurteilung meines Mandanten gerechtfertigt hätte, zurückweisen ließ.
Vielmehr legten die nähere Betrachtung der Aussagegenese und der Aussageentwicklung die begründete Annahme nahe, dass es sich bei den Erinnerungen der Zeugin um Pseudoerinnerungen handelt und sie inzwischen selbst davon überzeugt ist, dass es zu Übergriffen der beschriebenen Art gekommen sein könnte.