Das Drama im Kopf des Pädosexuellen
Eine nicht nur sexualstrafrechtliche Empfehlung für das herausragende Filmdrama „Kopfplatzen“.
Allen, die Pädophile als Monster betrachten, die hinter Gitter gehören, allen, die bei Gelegenheit die Moralkeule hervorholen und eine rigorose Verschärfung der Gesetze und drakonische Strafen fordern, allen, die bei sich selbst eine pädophile Neigung verspüren und Hilfe suchen, möchte ich empfehlen, sich den Film „Kopfplatzen“ des deutschtürkischen Regisseurs Savaş Ceviz mit dem eindrücklichen Hauptdarsteller Max Riemelt anzusehen.
Es handelt sich um eine ausgesprochen spannende und berührende Darstellung des Innenlebens eines Pädophilen, außergewöhnlich schon deshalb, weil sie die innere menschliche Tragödie und emotionale Not offenbart, der ein Pädophiler ausgesetzt ist.
Schonungslos bringt er uns das große Dilemma eines Pädophilen nahe und lässt dabei doch keine falschen Sympathien aufkommen. Dem Filmdrama gelingt es, einen vertieften Einblick in die ganze Tragik der Pädophilie zu eröffnen. Er führt den gewaltigen emotionalen Kampf vor, den ein Pädophiler mit sich selbst führt. Er macht die Angst und Hilflosigkeit spürbar, ohne Aussicht auf eine grundsätzliche Veränderung seiner Neigung, wie auch die Verachtung und Wut des Pädophilen auf sich selbst, aber auch die angsterfüllte gesellschaftliche Hilflosigkeit.
Die süddeutsche Zeitung schreibt: „Savaş Ceviz sucht die Innenschau, er will verstehen.“
Und BR Kino Kino: „Konzentriert lässt uns Max Riemelt die stille Verzweiflung seiner Figur spüren.“ Dem ist nur zuzustimmen. Dabei werden, ohne didaktisch oder moralinsauer zu werden, die Themen angesprochen, die Pädophilie zu einer menschlich wie strafrechtlich hochkomplizierten Angelegenheit machen. Man merkt dem Film an, dass Regisseur wie Hauptdarsteller gründlich recherchiert und sich mit der Thematik ausgiebig auseinandergesetzt haben. So suchte Ceviz kompetente Beratung bei den Experten der Charité Berlin, und berichtet Riemelt davon, sich mit dem Thema anhand zahlreicher Videos mit Betroffenen vorbereitet zu haben. Der Film ebnet so einen Weg, der Tabuisierung und Dämonisierung von Pädophilie entgegenzuwirken, wie sie in unserer Gesellschaft an der Tagesordnung ist. Es ist nur zu hoffen, dass er von vielen zuständigen Gremien, Behörden und Ärzten gesehen wird, schon um emotionale Barrieren abzubauen, wenn sich Betroffene notwendige Hilfe holen wollen.
Die Story
Markus ist 29, ein gutaussehender Single und angesehener Architekt. Keiner in seinem Umfeld, weder Kollegen, noch Schwester oder Eltern ahnen, dass er pädophile Neigungen hat. Körper kleiner Jungs erregen ihn. Er hasst sich dafür und muss jeden Tag gegen sein Verlangen ankämpfen. Das Drama spitzt sich zu, als die alleinerziehende Mutter Jessica mit dem 8-jährigen Sohn Arthur, der Markus von Anfang an mag, in die Wohnung nebenan einzieht. Jessica verliebt sich in Markus und Markus fühlt sich von Arthur angezogen. Markus, der manchmal auf den Jungen aufpasst und dann mit ihm allein ist, spürt, dass er sein Verlangen nicht mehr lange unter Kontrolle halten kann. Die Schauspielkunst Max Riemelts zeigt uns nun spannungsgeladen die innere Tragödie und Zerrissenheit von Markus. Ausgesprochen gelungen erscheint mir dabei, wie auf emotionaler Ebene nachvollziehbar wird, welche inneren Qualen ein Pädophiler erlebt, ohne dabei eine falsche Sympathie entstehen zu lassen. Es wird klar, dass Markus für diese Neigung nichts kann, er aber für seine Handlungen in vollem Umfang die Verantwortung trägt. Es wird plausibel, dass ein Pädophiler kein Monster und nicht per se ein Kinderschänder ist, aber dennoch von ihm Gefahr ausgeht.
Die verzweifelte Zerrissenheit des Pädophilen.
Die Isolation des Pädophilen wird in „Kopfplatzen“ förmlich spürbar. Wenn Markus aus dem Fenster sieht, um Kinder zu beobachten, hat man das Gefühl, er blickt aus einem Gefängnis. Man spürt die Einsamkeit und Zwanghaftigkeit, wenn er vor dem Bildschirm sitzt und masturbiert. Man spürt die hilfslose Wut auf sich selbst, wenn er Kraftsport betreibt, auf einen Boxsack einschlägt oder im Boxring steht. Man spürt die Verzweiflung, wenn er auf seiner Toilette sitzt und versucht, sich zusammen zu reißen. Man spürt die Selbstverachtung, wenn er in den Spiegel blickt. In einen Wildpark beobachtet er einen Wolf. Man spürt, wie er sich mit ihm identifiziert und der Wolf zur Metapher für ihn selbst wird, für seine einsame Verlassenheit wie auch die kaum kontrollierbare Gefahr, die von ihm ausgeht.
Die Fotografie ist für Markus das Medium, mit dem er sich Jungs nähert. Die Distanz durch die Linse wird für ihn zum Instrument, sich die Kinder auf diese Weise anzueignen, ergänzt durch Fotos, die er sich aus dem Internet holt. Seine Dunkelkammer ist der heimliche Ort, an dem er das in aller Heimlichkeit praktizieren kann. Hier wird nichts beschönigt und ein menschliches Verstehen für die verzweifelte Lage eines Pädophilen ermöglicht. Dieses Verstehen vertieft sich auf realitätsnahe Weise, als Markus im Internet Kontakt mit Pädophilen aufnimmt und damit dem Zuschauer vorführt, dass nicht alle Pädophilen gleich sind. Markus sucht auch dort nach Hilfe, er spricht in der Anonymität des Netzes von seiner Angst, dass er einem Jungen etwas antun könnte und spricht zugleich von seiner Obsession:, „Es ist wunderschön in seiner Nähe zu sein, ihn zu beobachten, ihn zu riechen.“ Er chattet mit einem Pädophilen, der offenbar nicht die Skrupel von Markus hat und antwortet, er können ihm einen Link schicken. Da siehst du, „wie man mit dem kleinen Himmelswesen umgeht. Die mögen das, denen macht es
doch auch Spaß. Sonst würden sie das doch nicht tun.“ Markus aber hat, und das gilt für viele Pädophile, offenbar eine innere moralische Ampel, die ihn daran hindert, sich real einem Jungen körperlich zu nähern.
Als Jessica seine Dunkelkammer und die Bilder entdeckt, treibt ihn die Verzweiflung in einen Selbstmord-Versuch.
Die gesellschaftliche Hilflosigkeit.
Der Film macht auch die gesellschaftliche Hilflosigkeit und ein gesellschaftliches Versagen im Umgang mit der Pädophilie erkennbar. Seine Schwester und seine Eltern wenden sich von ihm ab, als klar wird, was mit ihm los ist. Markus sucht Hilfe bei einem Arzt. Er spricht über seine Neigungen. Der Arzt weist ihn entsetzt ab. Es wird deutlich, wie sehr auch zuständige Stellen, an denen Hilfe zu vermuten ist, überfordert sein können. Erst als Markus zufällig eine Zeitungsanzeige mit der Frage entdeckt: „Lieben Sie Kinder mehr, als sie wollen“ weist ihm das den Weg zu einem Therapeuten, der sich seiner Problematik annimmt und dem er sich öffnen kann. Markus spricht endlich über seine Neigung: „Ich habe ein Problem. Ich brauche Ihre Hilfe. Ich liebe Kinder. Ich finde sie erregend.“ Und er sagt, was nachweislich viele Pädophile denken: „Ich möchte das weghaben, ich möchte nicht mehr auf kleine Jungs stehen. … Aber ich will das nicht. Das ist doch krank.“
Die Verantwortung des Pädophilen.
Die Antwort des Therapeuten erläutert uns das Dilemma der Pädophilie: „Das, was sie sagen, ist keine Krankheit, die heilbar wäre. … Sie können für ihre Neigung nichts. Genauso wenig wie Homosexuelle oder Heterosexuelle. Niemand kann für seine Neigung etwas. Sie müssen mit ihrer Neigung leben, ein Leben lang.“ Die Aussage steigert Markus Verzweiflung und er fragt den Therapeuten „Was ist, wenn es ihnen verboten würde, wenn es kriminell wäre, wenn sie Sex hätten.“ Der Therapeut antwortet, er könne ihm nur dabei helfen, seine Neigung besser zu kontrollieren, damit er nie übergriffig wird und strafbare Handlungen begeht. Es läge aber allein an ihm. Es muss ihm absolut klar sein, dass er für seine Neigung nichts kann, aber für seine Handlungen.
Als therapeutische Maßnahme erhält Markus ein Medikament, und er wird dazu aufgefordert, sich von allem zu trennen, von dem Versuchung ausgehen könnte. Er soll alle risikobehafteten Situationen meiden, nicht in Schwimmbäder gehen, den Bus verlassen, auf die andere Straßenseite zu wechseln, wenn Kinder auftauchen. Und in aller Deutlichkeit gibt er dem Pädophilen auf den Weg: „Ob ein Kind durch Sie zu Schaden kommt, liegt allein in ihrer Verantwortung.“
Markus folgt dem Rat seines Therapeuten und vernichtet alle Bilder. Auch die von Arthur. Er löscht den Internet Account und seine Bilder-Sammlung im Internet.
Zufällig trifft Markus Arthur wieder. Der bittet ihn, wieder etwas zusammen zu unternehmen, ohne dass die Mutter davon weiß. Wieder taucht der Wolf auf, und wir verstehen, die Einsamkeit wie auch die Gefährlichkeit von Markus sind nach wie vor vorhanden. Wir spüren, wie er mit sich ringt. Wir verstehen, die sexuelle Neigung wird Markus ein Leben lang begleiten. Und er wird ein Leben lang damit zu kämpfen haben.
Was können wir tun?
Der Film besitzt eine Fähigkeit, die über den Film hinausreicht. Er ist in der Lage, ein gesellschaftliches Bewusstsein und hoffentlich ein Umfeld zu befördern, in dem Pädophile sich an geeigneten Stellen Hilfe suchen und angstfrei outen können, um sich ihrer sexuellen Neigung zu stellen und zu lernen, damit umgehen zu können. Das Filmdrama fordert uns dazu auf, niemanden aufgrund seiner sexuellen Neigung zu verurteilen, auch nicht den Pädophilen. In keiner Weise wird dennoch die Gefahr beschönigt, die von ihm ausgehen kann. Die Geschichte von Markus zeigt uns, dass die Isolation, in die ihn ein verständnisloses, angsterfülltes, massiv ablehnendes Umfeld treibt, die Probleme nur verschärft. Sie weist uns den Weg, einen gesellschaftlichen Raum zu schaffen, der einen Pädophilen dabei unterstützt, mit seiner Neigung leben zu können, ohne Kinder zu gefährden. Einen Pädophilen generell zum Monster zu erklären, schafft eher die Bedingungen dafür, ihn zum Monster zu machen. Das gilt auch für Gesetzgebung und Strafrecht. Mittlerweile ist das Bewusstsein für die Problematik gestiegen, aber bestimmt noch nicht in der Bevölkerung verankert.
Das Präventionsprojekt "Kein Täter werden" der Charité Berlin ist ein gutes Beispiel dafür, wie Pädophilen geholfen werden kann. Das Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin in Berlin bietet Therapieplätze für Menschen an, die auf Kinder gerichtete sexuelle Fantasien haben, aber keine Übergriffe begehen wollen und therapeutische Hilfe suchen. Mittlerweile sind Standorte in Düsseldorf, Gießen, Kiel, Mainz, Hamburg, Hannover, Leipzig, Regensburg, Stralsund und Ulm dazugekommen. Es gibt also kompetente Angebote, um mit der Neigung Pädophilie besser leben zu können. Aber
eben bedauerlicherweise kein weitreichendes gesellschaftliches Bewusstsein. Dafür gibt es noch einiges zu tun.
Lesen Sie gerne auch meinen Blog-Artikel zum Gesetzesentwurf zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder.