Strafverfahren
Sexueller Missbrauch von Kindern §176 StGB
Das Delikt sexueller Missbrauch von Kindern, § 176 StGB, und schwerer sexueller Missbrauch von Kindern, § 176 a StGB, schützt die ungestörte sexuelle Entwicklung Kindern gegen sexuelle Übergriffe; die Schutzaltersgrenze liegt bei 14 Jahren.
Grundsätzlich irrelevant für die Frage, ob der Tatbestand sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen verwirklicht ist, ist der Umstand, ob das Kind überhaupt den Sexualbezug der – inkriminierten- sexuellen Handlung erkennt und sich ihrer sexuellen Bedeutung bewusst ist.
Kein anderes Delikt emotionalisiert und polarisiert die Gesellschaft derart wie der sexuelle Missbrauch von Kindern, denn Kinder genießen aufgrund ihrer Unerfahrenheit und Unbefangenheit besonderen Schutz und Fürsorge von Justiz und Gesellschaft, und gelten als am meisten schutzbedürftig. Demnach ist in den Augen von Gesellschaft und Ermittlungsbehörden ein des sexuellen Missbrauchs Beschuldigter, Angeklagter und/ oder Verurteilter auch vorschnell ein „Monster“, dem man zugleich jegliche rechtsstaatlichen Verfahrensrechte abspricht.
Dies macht die Verteidigung gegen den Vorwurf sexuellen Missbrauch von Kindern umso herausfordernder – geht es doch darum, dem Schutz des Mandanten und dem Opferschutz gerecht zu werden. Als erfahrene Anwältin für Sexualstrafrecht stehe ich Ihnen auch als Kindesmissbrauch Anwalt mit Rat und Tat zur Seite.
Denn auch der Beschuldigte, Angeklagte oder Verurteilte aus der Norm sexueller Missbrauch von Kindern bedarf des dringenden Schutzes seiner Verfahrensrechte und seines Anspruchs auf ein faires, rechtsstaatliches Strafverfahren. Dies ist in Anbetracht der extremen Polarisierung und Vorverurteilung seitens der Medien und der Gesellschaft noch virulenter als bei der Verteidigung gegen andere Vorwürfe im Sexualstrafrecht! Zumal Justiz, Gesellschaft und Medien offenbar nur zu „gerne“ vergessen, dass es der Vorwurf sexueller Missbrauch von Kindern in ähnlichem Maß wie der Vorwurf sexuelle Nötigung und Vergewaltigung oft vorschnell und zu Unrecht – absichtlich wie unabsichtlich- erhoben wird! Indes bewegt sich die Tendenz in der alltäglichen Gerichtspraxis dazu, den gesetzlich vorgegebenen Strafrahmen bei der Bemessung der Einzelstrafe immer mehr im oberen Bereich anzusetzen. In gleichem Maß scheinen die Anforderungen daran, welches Verhalten denn nun bereits als „sexuelle Handlung“ ausgelegt werden kann, immer weiter zu sinken!
Hinzu kommt, dass Falschaussagen im Bereich sexueller Missbrauch von Kindern vor allem dann, wenn sie auf Suggestion beruhen, noch wesentlich schwieriger zu enttarnen sind als Falschaussagen im Bereich sexuelle Nötigung und Vergewaltigung. Dabei dürften die meisten Falschaussagen im Bereich sexueller Missbrauch von Kindern mit Suggestion zu erklären sein. Sei es, weil eine dem Kind nahestehende Bezugsperson dem Kind die falsche Verdächtigung aus eigenen Motiven suggeriert wie so häufig in familienrechtlichen Auseinandersetzungen um Sorgerecht und Umgangsrecht. Oder sei es, dass der Vorwurf sexueller Missbrauch von Kindern von einer inzwischen längst erwachsenen Frau oder Mann – häufig nach dem Durchlaufen etlicher Psychotherapien – erhoben wird. Dabei sind die potentiell Beschuldigten fast immer Männer aus dem sozialen Nahbereich der vermeintlichen Opfer.
Obwohl selbstverständlich auch Frauen Täterinnen eines sexuellen Missbrauchs von Kindern sein können, richten sich Anzeigen von Kindesmissbrauch fast ausschließlich gegen Männer. Zugleich ist die Rechtsprechung Frauen gegenüber weitaus großzügiger, wenn es um die Einstufung eines Verhaltens als sexuelle Handlung geht. Regelmäßig werden hier bei Frauen höhere Anforderungen bei der Beurteilung der Erheblichkeit der sexuellen Handlung gestellt.
Selbstverständlich soll an dieser Stelle keinem Kind und keinem potentiellen Opfer der Schutz des Gesetzes abgesprochen werden. Vielmehr kann die Verteidigung gegen den Vorwurf sexueller Missbrauch von Kindern niemals ohne die gleichzeitige Wahrung und Schutz der Opferrechte des kindlichen Opfers erfolgen. Dies noch dringlicher als es auch die Verteidigung gegen andere Vorwürfe aus dem Bereich des Sexualstrafrechts verlangt.
Tathandlungen und Tatbestände bei § 176 StGB |closed
Die Tathandlungen des Delikts sexueller Missbrauch von Kindern sind vielfältig: So begeht das Delikt sexueller Missbrauch von Kindern, „wer sexuelle Handlungen an Kindern vornimmt; wer sexuelle Handlungen an sich von einem Kind vornehmen lässt, wer ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einem Dritten vornimmt (oder von einem Dritten an sich vornehmen lässt); wer sexuelle Handlungen vor einem Kind (auch via Internet oder Telefon) vornimmt; wer ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen (an sich) vornimmt, „klassischerweise“, indem es obszön posiert , wer auf ein Kind durch Schriften einwirkt, um es zu sexuellen Handlungen zu bringen, sich mithin mit dem Kind via Chats zu Treffen verabredet; wer auf ein Kind durch Vorzeigen pornographischer Abbildungen oder Darstellungen, durch Abspielen von Tonträgern pornographischen Inhalts oder durch entsprechende Reden einwirkt“ und „wer ein Kind für eine der o.g. Taten anbietet oder wer sich mit einem anderen zu einer solchen Tat verabredet“.
Unerheblich ist hierbei stets, ob das Kind den sexuellen Bezug eines Verhaltens überhaupt erkennen und als solches „einordnen“ kann.
Strafe bei sexueller Missbrauch von Kindern
Die Strafandrohung bei §176 StGB, sexueller Missbrauch von Kindern, differenziert danach, ob bei der jeweiligen Handlung ein direkter Körperkontakt zwischen Täter und kindlichem Opfer zustande kam.
Demnach ist die Strafandrohung eine Mindeststrafe von 6 Monaten Freiheitsstrafe bis hin zu 10 Jahren, wenn es zu einem direkten Körperkontakt mit dem Kind kam. Dies ist bei den Tatbeständen § 176 Abs. 1 und Abs. 2 – sexuelle Handlungen an einem Kind oder von dem Kind an sich selbst; ferner dann, wenn das Kind zu sexuellen Handlungen mit dritten Personen veranlasst wird.
Indes ist in den Fällen des § 176 Abs. 4 StGB die Strafandrohung eine Mindeststrafe von 3 Monaten Freiheitsstrafe bis hin zu 5 Jahren.
In dieser Konstellation besteht zwar kein Körperkontakt zwischen Täter und kindlichem Opfer bestand, das Kind wird aber dennoch mit Sexualität konfrontiert. :So etwa bei sexuellen Handlungen „vor" einem Kind – in diesem Fall nimmt der Täter in einer für das Kind zumindest äußerlich zu beobachtenden oder hörbaren Weise sexuelle Handlungen an sich selbst oder an einer dritten Person vor. Ferner dann, wenn das Kind zu sexuellen Handlungen an sich selbst veranlasst wird sowie bei einem Einwirken auf ein Kind durch SMS oder Email-Chat mit dem Ziel, das Kind später – bei einem persönlichen Treffen- zu sexuellen Handlungen zu bringen. Ebenso mit einer Mindeststrafe von 3 Monaten Freiheitsstrafe bis hin zu 5 Jahren Freiheitsstrafe wird das Einwirken auf das Kind durch im Wege des Vorzeigens oder Abspielens von Pornographie.
Daneben sieht die Norm sexueller Missbrauch von Kindern mit § 176 Abs. 3 StGB auch einen besonders schweren Fall vor; hier droht eine Mindeststrafe von 1 Jahr Freiheitsstrafe. Ein „klassisches Beispiel“ für § 176 Abs. 3 dürfte sein, wenn der Täter mit dem Glied oder Finger in den Scheidenvorhof des Kindes eindringt.
Strafzumessung bei § 176 StGB
Die Strafzumessung, also die Frage, wo innerhalb des gesetzlich vorgegebenen Strafrahmens das Gericht die Strafe im Einzelfall bestimmt, hängt von etlichen Faktoren ab, anhand derer das Gericht im Einzelfall zur Annahme eines geringeren (oder erhöhten) Unrechts- und Schuldgehalt kommt; sog. strafmildernde wie strafschärfende Umstände. Hier ergeben sich naturgemäß erhebliche Spielräume für die Verteidigung!
Allgemein lässt sich für das Sexualstrafrecht indes die Tendenz feststellen, dass sich die konkrete Strafe zumeist in der oberen Hälfte bewegt.
Im Einzelnen:
Strafschärfende Umstände |closed
Strafschärfende Umstände bei der Bemessung der konkreten Einzelstrafe aus dem Tatbestand sexueller Missbrauch von Kindern sind regelmäßig psychische Schäden, welche das Kind von der Tat davonträgt; ebenso die Frage, ob die Tat für das Kind mit Schmerzen verbunden war. Ferner, wenn es sich bei dem kindlichen Opfer noch um ein sehr junges Kind gehandelt oder; sowie, wenn der Täter zur Tatbegehung seine besondere Vertrauensstellung zu dem Kind ausgenutzt hat und ein erhebliches psychosoziales Gefälle zwischen dem kindlichen Opfer und dem Täter bestand, welches dieser zur Tatbegehung ausgenutzt hat.
Strafmildende Umstände
Strafmildernd bei der Findung der konkreten Strafe bei Verwirklichung des Delikts sexueller Missbrauch von Kindern ist, wenn das Kind von der Tat keine psychischen Schäden davongetragen hat. Daneben, wenn die zu beurteilende sexuelle Handlung noch im unteren Bereich der Erheblichkeit liegt – wobei allerdings bei dem Delikt sexueller Missbrauch von Kindern die Erheblichkeitsschwelle ohnehin noch tiefer liegt als bei den Tatbeständen im Sexualstrafrecht zum Nachteil von Erwachsenen.
Ferner strafmildernd wirkt sich ein Geständnis aus, welches dem Kind weitere Aussagen bei Polizei und Gericht erspart; ebenfalls der Umstand, wenn bzw. dass die Tat schon etliche Jahre zurückliegt.
Ebenfalls strafmildernd wirkt es sich aus, wenn das Kind bereits kurz vor der Vollendung des 14. Lebensjahres steht, und/ oder bereits sexuelle Erfahrungen gemacht hat; insbesondere dann, wenn es sich bei dem „Täter“ um einen noch jugendlichen Täter handelt.
Sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen
Sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen, § 179 StGB, liegt vor, wenn der Täter „eine andere Person, die wegen einer geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung einschließlich einer Suchtkrankheit oder wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder körperlich zum Widerstand unfähig ist“ dadurch missbraucht, indem er unter Ausnutzung der Widerstandsunfähigkeit sexuelle Handlungen an ihr vornimmt , an sich von ihr vornehmen lässt oder die widerstandsunfähige Person unter Ausnutzung ihrer Widerstandsunfähigkeit dazu bestimmt, sexuelle Handlungen an einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen.
Die Tat ist als Vergehen mit einem Strafrahmen von 6 Monaten bis zu 10 Jahren Freiheitsstrafe ausgestaltet.
Sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen, § 179 StGB
Auch § 179 StGB, sexueller Missbrauch von widerstandsunfähigen Personen, soll dem Schutz vor Eingriffen in die sexuelle Selbstbestimmung dienen. Der sexuelle Missbrauch liegt im Fall des § 179 in der Ausnutzung der Widerstandsunfähigkeit des potentiellen Opfers gegen eine sexuelle Handlung des potentiellen Täters. Dies dergestalt, als die Widerstandsunfähigkeit den sexuellen Kontakt ermöglicht oder zumindest erleichtert, wobei der Täter die ihm dadurch gebotene Gelegenheit wahrnimmt.
Die Norm „Sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen“, § 179 StGB, sanktioniert demnach den sexuellen Missbrauch einer „zum Widerstand unfähigen“ Person.
Diese Formulierung des Gesetzes wirft naturgemäß einige Fragen auf: denn – wann ist „eine Person „zum Widerstand-unfähig”? Welche Konstellationen einer „Widerstandsunfähigkeit“ werden hier erfasst?
Widerstandsunfähigkeit
Der BGH sieht Widerstandsunfähigkeit unter 3 Voraussetzungen als gegeben an:
Dann, wenn das Opfer des Delikts sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen nicht in der Lage ist zu entscheiden, ob es in sexuelle Handlungen des Täters einwilligen möchte, mithin sexuelle Handlungen ausüben oder zulassen möchte; die Situation also überhaupt erfassen und bewerten kann; ferner, wenn das Opfer zwar einen Widerstandswillen gegen sexuelle Handlungen mit dem Täter bilden kann und bildet, diesen aber nicht äußern kann und entsprechend durchsetzen kann.
Fehlt es bereits an einer der genannten Fähigkeiten, gilt das Opfer als im Sinne der Norm „widerstandsunfähig“.
Dabei bestimmt § 179 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB, die Situationen und Tatumstände, in welchen dies geschehen kann.
Konstellationen denkbarer Widerstandsunfähigkeit: Ursachen
Das Gesetz differenziert hier nach den denkbaren Ursachen, aufgrund derer eine Person – das potentielle Opfer – widerstandsunfähig gegen ein sexuelles Ansinnen sein kann. Die Widerstandsunfähigkeit kann also unterschiedliche Ursachen haben.
So kann Widerstandsunfähig sein, wer aus folgenden Gründen keinen Widerstand gegen das sexuelle Ansinnen eines anderen nicht in der Lage ist: aufgrund einer geistigen oder seelischen Krankheit (etwa diagnostizierter Psychose oder sonstiger hirnorganischer Störung) oder Behinderung einschließlich einer Suchtkrankheit; und/ oder aufgrund „einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung”, § 179 Abs. 1 Nr. 1 StGB, mithin u.a. während Schlaf, Ohnmacht; Hypnose, Alkohol-oder Drogenrausch und/ oder „körperlich”, § 179 Abs. 1 Nr. 2 StGB.
Dabei ist geistig widerstandsunfähig, wer - wegen geistiger oder seelischer Krankheit oder Behinderung- keinen entsprechenden Willen gegen das sexuelle Ansinnen eines anderen bilden oder äußern kann; körperlich widerstandsunfähig, wer keinen Willen gegen das sexuelle Ansinnen eines anderen durchzusetzen kann – etwa, weil das Opfer querschnittsgelähmt oder gefesselt ist.
Für den Verteidigungsalltag relevant ist indes allein die Widerstandsunfähigkeit aufgrund „tiefgreifende Bewusstseinsstörung”.
Tathandlung und Tatbestand bei § 179 StGB|closed
Der Tatbestand der Norm sexueller Missbrauch von widerstandsunfähigen Personen“ führt etliche denkbar mögliche Tathandlungen auf:
Demnach macht sich des sexuellen Missbrauch von Widerstandsunfähigen strafbar, wer
- an einer widerstandsunfähigen Person sexuelle Handlungen vornimmt oder von der widerstandsunfähigen Person an sich selbst vornehmen lässt; ferner,
- eine widerstandsunfähigen Person dazu bestimmt, also veranlasst bzw. beeinflusst, sexuelle Handlungen an einem Dritten vorzunehmen oder sexuelle Handlungen von einem Dritten an sich selbst vornehmen zu lassen;
Ferner –unter Androhung einer Mindeststrafe von 2 Jahren Freiheitsstrafe (!)- ,
- wer mit dem widerstandsunfähigen Opfer den Geschlechtsverkehr („Beischlaf“) vollzieht oder auf vergleichbare Weise – etwa mit einem Finger, oral oder anal – in den Körper des Opfers eindringt, alternativ mit Gegenständen anal oder vaginal in den Körper des Opfers eindringt bzw. das Opfer veranlasst, auf gleiche Weise in den Körper des Täters einzudringen;
- wer den sexuellen Übergriff in Mittäterschaft, § 25 Abs. 2 StGB, mit einer andere Person oder mehreren anderen Personen begeht, sowie,
- wer das Opfer durch die Tat in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung oder einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung bringt; es also wahrscheinlich ist, dass das Opfer eine Gesundheitsschädigung oder Schädigung in der körperlichen oder seelischen Entwicklung davonträgt.
Weitere denkbare Tathandlungen verwirklicht daneben, wer – unter Androhung einer Mindeststrafe von 5 Jahren Freiheitsstrafe,
- das Opfer bei der Tat, also in unmittelbaren Zusammenhang mit der sexuellen Handlung, körperlich schwer misshandelt, das Opfer also erhebliche Schmerzen erleidet oder einen langwierigen Gesundheitsschaden davonträgt; oder wer
- das Opfer durch die sexuellen Handlungen in konkrete Lebensgefahr („Gefahr des Todes“) bringt – etwa vorsätzlich mit dem HIV-Virus infiziert.
Tiefgreifende Bewusstseinsstörung, § 179 Abs. 1 Nr. 1 StGB
Eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung bedeutet völlige Bewusstlosigkeit wie bei Schlaf oder Ohnmacht; schwere Rauschzustände nach Alkohol-, Drogen- oder Medikamentenkonsum; Dämmerzustände bei Hypnose, Schockzustände, sowie, in Extremfällen, Zustände körperlich völliger Erschöpfung oder Apathie durch kumulativ/ alternativ Schlafentzug, Blutverlust und/ oder Nahrungsentzug. Das Opfer muss sich also in einer psychischen oder physischen Lage befunden haben, in der das intellektuelle und emotionale Erleben des Opfers derart gestört ist, so dass das Opfer die Situation nicht mehr realisieren kann, sich sonach nicht mehr frei für oder gegen eine sexuelle Aktivität entscheiden kann und deshalb die konkrete sexuelle Handlung des Täters auch nicht abwehren kann. Problematisch sind indes die Konstellationen, in denen das Opfer nicht völlig willenlos war und/ oder sich an den sexuellen Handlungen des „Täters“ sogar beteiligt hat.
Hierbei handelt es sich um eine normative Bewertung, die das Tatgericht selbst vornehmen muss und sich nicht allein auf entsprechende Ausführungen des Sachverständigen beziehen kann, sondern zur Beurteilung der konkreten Widerstandsunfähigkeit die von der Rechtsprechung zu §§ 20, 21 entwickelten Grundsätze zum Ausschluss oder zur erheblichen Minderung der Schuldfähigkeit der zur beurteilenden Person entsprechend anwenden muss.
Demnach muss das Urteil bei einer Verurteilung aus dem Delikt sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen in einer Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung der konkreten Besonderheiten des zu beurteilenden Tatgeschehens die geistig-seelische Verfassung des Opfers und deren konkrete Auswirkung auf das Opferverhalten darlegen. Fehlt dies, ist das Urteil erfolgreich mit der Revision angreifbar. So zuletzt abermals ein Urteil des BGH (1 StrR 394/14) vom 5.11.2014 auf eine erfolglose Revision der Staatsanwaltschaft gegen einen Freispruch, wonach die Feststellung der Widerstandsunfähigkeit eine „normative Entscheidung“ ist; „sie erfordert die Überzeugung des Tatrichters, dass das Opfer zum Widerstand gänzlich unfähig war“ (BGH 1 StrR 494/14).
Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann Opfer des Delikts „sexueller Missbrauch von widerstandsunfähigen Personen“ nur sein, wer wegen einer der im Gesetzestext abschließend aufgeführten Konstellationen (namentlich wegen geistiger oder seelischer Krankheit oder Behinderung einschließlich einer Suchtkrankheit oder wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder körperlich“, § 179 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB) außerstande, „einen ausreichenden Widerstandswillen gegen das sexuelle Ansinnen des Täters zu bilden, zu äußern oder durchzusetzen“, vgl. BGH Aktenzeichen 4STR33811 4 StR 338/11, NStZ 2012, NSTZ Jahr 2012 Seite 150 f.).
Daneben darf zur Annahme der Widerstandsunfähigkeit nicht darauf abgestellt werden, ob das Opfer dann, wenn es die konkrete Situation emotional und intellektuell erfasst hätte, vermutlich Widerstand gegen die konkrete sexuelle Handlung geleistet hätte.
Vielmehr ist für die Bejahung der Widerstandsunfähigkeit im Rahmen des § 179 StGB allein entscheidend, dass das Opfer in der konkreten Situation und gegen die zu beurteilende konkrete sexuelle Handlung widerstandsunfähig war.
Strafe bei Sexueller Missbrauch Widerstandsunfähiger
Der Strafrahmen des § 179 StGB ist eine Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu 10 Jahren. §179 StGB ist demnach ein Vergehen. Gleichzeitig kann indes auch ein unbenannter besonders schwerer Fall des Grundtatbestands mit einer Mindeststrafe nicht unter 1 Jahr Freiheitsstrafe angenommen werden. Erfasst sollen hier Konstellationen, bei denen der Täter zwar nicht in den Körper des Opfers eindringt, dieses jedoch auf andere Art besonders erniedrigt hat Vollzieht der Täter mit dem Opfer in dieser Situation den Beischlaf oder dringt auf andere Weise – etwa mit dem Finger oder Gegenständen- in den Körper des Opfers ein, ist die Strafe Freiheitsstrafe von mindestens 2 Jahren.
§ 179 Abs. 5 regelt den minder schweren Fall des sexuellen Missbrauchs Widerstandsunfähiger. Die Strafe ist hier Freiheitsstrafe von 1 bis zu 10 Jahren. So kann ein minder schwerer Fall bei sexueller Missbrauch von Widerstandsfähigen dann vorliegen, wenn der Täter mit dem später volltrunkenen Opfer bereits vor der Tat Zärtlichkeiten in beiderseitigem Einvernehmen ausgetauscht hatte.
Für die Strafzumessung bei dem Vorwurf sexueller Missbrauch von Widerstandsunfähigen sind regelmäßig folgende Umstände relevant:
Strafmildernd |closed
Strafmildernd dürfte sich bei einer Bestrafung aus dem Delikt sexueller Missbrauch Widerstandsunfähiger auswirken, wenn sich die tatrelevanten sexuellen Handlungen noch an der unteren Schwelle zur Erheblichkeit (bitte verlinken) bewegten. Weiter strafmildernd dürfte es sich ebenfalls auswirken, wenn das Opfer vor der fraglichen Tat mit dem Täter noch einvernehmlich Zärtlichkeiten ausgetauscht hat und/ oder die Initiative zu sexuellen Handlungen vom Opfer ausging und der Täter irrtümlich von einem Einverständnis des Opfers zu den sexuellen Handlungen ausging.
Straferhöhend
-Straferhöhend dürfte sich für die Bemessung der Strafe bei dem Delikt sexueller Missbrauch von widerstandsunfähigen Personen insbesondere auswirken, wenn im Zustand der Widerstandsunfähigkeit die sexuellen Handlungen mehrfach oder besonders brutal und rücksichtslos erfolgten; sadistische Handlungen, Fäkalerotik, ungeschützter Geschlechtsverkehr, ferner, ein besonderes Nähe-und Vertrauensverhältnis zwischen Opfer und Täter vor der Tat bestand, das durch die Tat erschüttert wird und/ oder das Opfer durch die Tat anhaltend traumatisiert ist und/ oder, wenn die Tat gefilmt wurde.
Falschbelastungen bei § 179 StGB
Der Vorwurf sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen wird zumeist von Frauen, vereinzelt auch von Männern erhoben, wenn es mit einem bis dato unbekannten Partner nach heftigem Alkoholgenuss oder Drogengenuss zum Geschlechtsverkehr kam.
Im wieder nüchternen Zustand sieht sodann alles anders aus – und „man“ fragt sich, wie denn das „passieren konnte“. Und, naturgemäß, fällt es schwer, sich einzugestehen, dass man da gerade den „eigentlichen“ Partner betrogen hat - unter Umständen bemerkt dieser dies zudem und verlangt eine Erklärung-; oder dass man Sexualpraktiken im enthemmten Zustand ausprobiert hat, die man „im normalen Leben“ doch vehement ablehnt.
Scham, Peinlichkeit dürften bei einer Anzeige „sexueller Missbrauch Widerstandsunfähiger“ dominieren.
Als Rechtfertigungsversuch vor sich selbst und bleibt dann eine Strafanzeige wegen sexuellen Missbrauch widerstandsunfähiger Personen. Meiner Erfahrung nach sind – im Gegensatz zu den AnzeigeerstatterInnen von Anzeigen mit dem Gegenstand sexuelle Nötigung und Vergewaltigung- selbst davon überzeugt, dass das sexuelle „Abenteuer“ einzig auf der Grundlage ihrer alkoholbedingten Widerstandsunfähigkeit, die der Partner besagter Nacht ausgenutzt haben soll, möglich war.
Dies macht die Verteidigung gegen den Vorwurf sexueller Missbrauch von Widerstandsunfähigen zunächst noch schwieriger als gegen den Vorwurf sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung zu verteidigen.
Denn die vermeintlichen Opfer wirken naturgemäß umso glaubwürdiger bei der Anzeigeerstattung und im Verfahren, zumal sie sich wahrheitsgemäß an etliche Details tatsächlich nicht erinnern können.
Bei Interesse lesen Sie bitte gerne meine weiteren Ausführungen unter „Falschbelastungen durch Erwachsene“.
Verteidigungsstrategien bei § 179 StGB
Behauptet das vermeintliche Opfer, es habe den vermeintlichen Vorfall ja gerade nicht mitbekommen, da es geschlafen oder aus anderen Gründen nicht bei Bewusstsein gewesen sei, fehlt es an einer entsprechenden Aussage, die einer aussagepsychologischen Prüfung u.a. auf Konstanz, Widersprüche und Detailreichtum analysiert werden kann. Indes bleibt natürlich mit den Mitteln der Aussagepsychologie die Betrachtung der Belastungsaussage zur Schilderung vor der (vermeintlichen) Situation der Widerstandsunfähigkeit; ferner auf die Schilderung in der Belastungsaussage, auf welche Weise das Opfer den Vorfall bemerkt haben will.
Weitere Ansätze für die Verteidigung finden sich daneben im Rahmen einer genauen Analyse der Tatbestandsmerkmale Widerstandsunfähigkeit und Ausnutzen; im Rahmen des Vorsatz sowie einer zu prüfenden Einwilligung.
Im Einzelnen:
Die Widerstandsunfähigkeit: die Widerstandsunfähigkeit muss absolut sein; nicht Begleitumstand.
Widerstandsunfähigkeit allein begründet noch nicht die Strafbarkeit aus § 179. Vielmehr muss ein Ausnutzen der Widerstandsunfähigkeit hinzukommen, die sexuelle Handlung darf also auch nicht von einer (mutmaßlichen) Einwilligung gedeckt sein.
Denn ein Ausnutzen fehlt dann, wenn das „Opfer“ in die sexuellen Handlungen wirksam eingewilligt hätte oder hat; etwa bei körperlicher Behinderung oder innerhalb einer Liebesbeziehung.
Ein weiterer Verteidigungsansatz ergibt sich im Rahmen des Vorsatzes, mithin im Rahmen der Frage, ob der „Täter“ die erkennen konnte oder zumindest hätte erkennen können müssen, dass das Opfer absolut widerstandsunfähig war und diesen Umstand bewusst zur Vornahme sexueller Handlungen nutzte. Kannte der potentielle Täter nicht die Tatsachen, aus denen sich die Widerstandsfähigkeit im konkreten Fall ergibt, fehlt es bereits am Vorsatz.
Verteidigungsansätze ergeben sich bei konsensualer Verteidigung zudem aus den Strafmilderungsgründen etwa, wenn das Vorverhalten des Opfers bereits Zärtlichkeiten zuließ oder wenn sich die vorgeworfene sexuelle Handlung, § 184 g StGB, an der unteren Schwelle der Erheblichkeit bewegt.
Bei Interesse lesen Sie bitte gerne auch meine weiteren Ausführungen unter “Herausforderung bei der Verteidigung im Sexualstrafrecht”.